1. Kapitel – Zwei Schicksalsschläge an einem Tag

49 Jahre lang war ich kerngesund. Ich stand auf der Sonnenseite des Lebens. Habe eine tolle Familie und einen Traumjob.

Anfang März 2019 fühlte ich mich schlapp und musste mein Büro ab und an auf die Couch verlegen.
Ich dachte an eine verschleppte Grippe. Es dauerte einen Monat, bis ich meinen Hausarzt aufsuchte.

Meine Ma ging Anfang April 2019 fröhlich und voller Zuversicht ins Krankenhaus, weil sie ihrer neuen Herzklappe, die dringend notwendig war (blaue Finger, Atemnot bei kleinster Anstrengung, Durchblutungsstörungen) entgegensehnte.

Sie war seit jeher ein Stehaufmännchen, die jedes Schicksal (Nierenkrebs, Entfernung einer Niere, Schlaganfall, Zähneziehen (alle) für OP neue Herzklappe) mit fröhlicher Leichtigkeit in Kauf nahm.

Am gleichen Tag des 5. Aprils 2019 und zur gleichen Stunde, an dem ich meinen Hausarzt konsultierte, befand sich meine Ma, zu der wir, ich als Einzelkind, mein Mann und meine Tochter ein extrem inniges Verhältnis haben, auf dem Weg in den OP.

Nachmittags, ich war aufgrund einer diagnostizierten verschleppten Grippe mit Antibiotika und meinem ersten Krankenschein von unserem Hausarzt längst zurück, hatte ich noch immer keinerlei Informationen von Seiten meiner Ma. Das versetzte mich in Unruhe. Ich erfuhr später, dass es beim Eingriff Komplikationen gab, die erste Herzklappe nicht schloss, sie viel Blut verlor und sie 7 Minuten lang „weg“ war. Sie wurde reanimiert. Wir sind direkt ins Krankenhaus gefahren. Die zweite Herzklappe, die eingesetzt wurde, funktionierte. Aber sie musste noch einmal, diesmal am offenen Herzen operiert werden. Wieder warten bis zum späten Abend. Und auch diese OP hat sie den Umständen entsprechend gut überstanden.

Jeden Tag verbrachten Micha und ich bei meiner Ma auf der Intensivstation. Meine eigene Schwäche ignorierte ich dabei. Diese kam erst abends zum Vorschein.

Mitte der darauffolgenden Woche, am 10. April 2019 musste ich wieder zu meinem Hausarzt, um die Blutwerte bestimmen zu lassen. Dabei ist aufgefallen, dass mein HB-Wert bereits bei 5,8 g/dl lag (12-16 g/dl lautet der Normalwert bei Frauen, ab 3 g/dl wird es lebensbedrohlich). Er bestellte mich sogleich noch am späten Abend, als wir von der Intensivstation zurück waren, er uns 6 Nachrichten auf dem heimischen AB hinterlassen und ich ihn dann endlich zurückgerufen hatte, in seine Praxis und hat mich direkt ins nächste hiesige Krankenhaus eingewiesen, um abklären zu lassen, wohin denn mein Blut wohl entschwunden sei.

In meiner jetzigen Situation hatte ich allerdings überhaupt kein Verständnis dafür, dass man mich gleich stationär aufnahm und man sich wunderte, wie ich mit einem solch niedrigen HB-Wert noch so stramm auf den Beinen stehen könne.
Bei der Aufnahme wurde routinemäßig die Lunge geröntgt. Ich wurde auf meine Station gebracht und da es schon spät war, schlief ich mit dem Gedanken ein, morgen das Krankenhaus auf jeden Fall wieder zu verlassen.
Doch gleich am nächsten Tag konfrontierte man mich mit einem kreisrunden Schatten auf meiner Lunge. Als Nichtraucher und stets gesunder Mensch, stellte mich das vor die Frage, ob es sich hierbei tatsächlich um meine Lunge handle. Im weiteren Verlauf wurde ein CT erstellt, bei dem weitere bösartige Ergebnisse in Magen und Darm zum Vorschein kamen.

Micha ist von Krankenhaus zu Krankenhaus gependelt und musste selbst krankgeschrieben werden. Nervlich war das alles gar nicht auszuhalten. Meiner Ma durfte er von meinem Krankheitsstatus nichts berichten, diese Information hätte sie umgebracht. Mir durfte er nicht berichten, dass meine Mama erneut operiert werden musste. Und am Tag meiner vorläufigen Entlassung (16. April 2019) habe ich am Vormittag von den Ärzten erfahren, dass ich definitiv Krebs habe, doch man konnte sich nicht einigen, wo der Herd, dh. der Ausgangstumor lag, um ihn zu benennen.
Am gleichen Nachmittag musste Micha mir sagen, dass es meine geliebte Mama nicht schaffen wird. Sie starb zwei Tage später in der Früh auf der Intensivstation.

Inzwischen habe ich im Tumorzentrum der Uniklinik Essen weitere Untersuchungen über mich ergehen lassen müssen. Anhand der eingeschickten Befunde und der neuen Biopsie eines Lymphknotens waren sich die Pathologen einig, es handelt sich um ein Lungenkarzinom. Dass davon auch Nichtraucher betroffen sein können, war mir bislang fremd.

Am Dienstag, den 21.05.2019, kurz vor meinem 50. Geburtstag (23.05.1969) habe ich mit einer 4tägigen Chemo mit anschließender Immuntherapie meine ersten Erfahrungen mit dieser Krankheit machen müssen.

Den Tod meiner Mama und die Beerdigung, um die sich Micha ganz alleine gekümmert hat, habe ich – haben wir alle – erlebt, als sei das alles nicht wahr, genauso geht es uns in Bezug auf meine plötzliche Krankheit. Wir erleben alles, als seien wir in einem falschen Film.

Ich frage mich, wie ich (wie wir als Familie) mit diesen beiden Schicksalsschlägen je fertig werden können. Selbst die schlimmen Erfahrungen mit dem über drei Jahre dauernden schweren Krankheitsverlauf von Friedhelm (Lebensgefährte meiner Ma seit 30 Jahren) und die Sterbebegleitung im März 2018 sitzt uns noch in den Knochen…

2. Kapitel – Meine Zeit vom 16.05. bis 25.05.2019 in der Tumorklinik

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